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Frank Schneider
… Schmidts Musik ist durch und durch modern; das heißt, sie gibt akustische Verdichtungen heutiger Realitätserfahrung und vergegenwärtigt Gefühle, Passionen, Reflexionen und Visionen dieser Zeit. Dabei zeigt er sich wenig bekümmert um technische Moden oder bestimmte handwerkliche Standards, die irgendwo als up to date gelten. Sie ist wohl durchkonstruiert nach strengen, oft zwölftönig gegründeten Regeln, aber stärker reguliert vom spontanen Drang nach eigenwilligem Ausdruck. Seine Musik tendiert zur polyphonen Vernetzung von Strukturen, zu oftmals chaotisch anmutenden Bündelungen der Stimmen im Detail, doch andererseits gruppiert und entwickelt sie sich zum ausgeschöpften, stimmig gerundeten Bogen im Rahmen relativ einfach überschaubarer Dramaturgien. Sie wurzelt schließlich in der begriffslosen Rhetorik romantischer Expressivität zwischen dem Aufschrei der Verzweiflung und der Persiflage komödiantischer Lebenslust, begeift sich dabei aber meistens doch als leidenschaftliches Psychogramm der mehr oder weniger verschwiegenen persönlichen Stimmungen und Betroffenheiten. Dies verlangt eine gewisse epische Ausführlichkeit der Darstellung wie besondere Vorkehrungen zur lyrischen Verschlüsselung, obwohl in Schmidts Musik, gleichsam unterirdisch, stets eine dramatische Fiber wirkt, die gewiß einmal zur Bühne drängt. Denn das Aussprechen innerster Gedanken in den absoluten Formen der Instrumentalmusik bildet nur einen Pol seines Schaffens. Der andere, im Wechsel dazu, bezeichnet das Bedürfnis nach synästhetischem Ausdruck, nach grenzüberschreitenden, vor allem literarisch inspirierten Darstellungsmitteln und nach der möglichst deutlichen, ja eindeutigen Formulierung von Gehalten, denen im weitesten Sinne politische Relevanz zukommen und die als moralische Appelle an die Gesellschaft verstanden werden sollen. Davon sind viele Werke inspiriert, die zum Bereich der vokalen Kammermusik und der Vokalsinfonik gehören. Gerade hier bedient sich der Komponist eines reichen Spektrums der Genres und Inhalte, wobei oft biblische Texte den wichtigsten gedanklichen Bezugspunkt bilden … (In: Frank Schneider, Christfried Schmidt, Broschüre des Deutschen Verlages für Musik, Leipzig 1987)
Christfried Schmidt
Christfried Schmidt Eckart Schwinger
Ein fanatischer Wahrheitssucher Der Berliner Komponist Christfried Schmidt. Er sollte mit seiner unbequemen Musik, die dem DDR-Komponistenverband wenig behagte, in eine Außenseiterrolle abgedrängt und eigentlich nur mit “abgegrenzten Aufgaben” bedacht werden. Was nun auch bei einer Tagung der Musikakademie Rheinsberg zum Thema “Musik im stillen Widerstand” deutlich wurde. Aber ganz verhindern ließ es sich nicht, dass ab und an ein Werk des Berliner Komponisten Christfried Schmidt gespielt wurde. Und so lag dann auch stets eine besondere Spannung über einem Abend, an dem ein schon vor vielen Jahren (Schmidt kann einen Berg unaufgeführter Partituren vorweisen) oder - in den seltensten Fällen - auch mal ein kurz zuvor entstandenes Werk von ihm gespielt wurde. Welch lebhafte, widerstreitende Publikumsreaktion zum Beispiel im Schauspielhaus Berlin nach der Aufführung seiner Orchestermusik I (1985)! … Selten wurde in der neuen Musik der einstigen DDR mit solcher Heftigkeit und Unerbittlichkeit, aber auch mit solcher Zartheit “gesprochen” wie in dieser Orchestermusik von Christfried Schmidt. Und dies ausgerechnet während der damaligen DDR-Musiktage 1988, bei denen sich auch offiziell das sozialistische Musterländle im günstigen Licht darstellen wollte. Dabei ist auch dieses Werk des unangepaßten Berliner Komponisten nicht gnadenlos harter Ausdruck eigener seelischer Erschütterungen und Hoffnungen; es ist nicht zuletzt ein verzweifelter Schrei und Mahnruf gegenüber mancher Unempfindlichkeit angesichts der überall lauernden Gefahren in unserer Welt. Der aufrichtige, kompromisslose Komponist hat eben gar nichts zu tun mit neuer simpler Einfachheit, mit modischer Neoromantik oder irgendwelchen Anbiederungsversuchen. Er hat nie,im Gegensatz zu manchen erfolgreichen DDR- Komponisten, die auch gern im Westen aufgeführt wurden, liebedienerisch Staatsmusik geschrieben, dieser schon von seinem Habitus her außergewöhnliche Künstler… Was es bei Chrisfried Schmidt zu entdecken gibt, bewies unter anderem das von Irvin Arditti achtzehn Jahre nach der Entstehung uraufgeführte Violinkonzert während der ersten gesamten Berliner Musik-Biennale 1991! Erstaunlich, wie er berets 1973 seine eigene, scharf ausgeprägte, schonungslos ehrliche Sprache gefunden und in seinen eigenen vier Wänden, ohne Aussicht auf eine Aufführung, seine beunruhigende Zeitkritik formuliert hat. Von diesem fanatischen Wahrheitssucher ist noch einiges zu erwarten. (In: Eckart Schwinger, Neue Zeit, Berlin 26.11.92)
Stefan Amzoll
Grelle Kontraste  Zurück zum Nonkonformismus Christfried Schmidt zum 70. Geburtstag “Ich habe jedenfalls immer das geschrieben, was ich wollte, und ich hätte nie ein Stück geschrieben, wenn man mir gesagt hätte: Du musst das und das ideologisch, wie auch immer verbrämt, reinbringen. Das hätte ich abgelehnt.” Wer so spricht, der lässt sich nichts gefallen, der isst lieber trockenes Brot, als sich zu verkaufen. Bis heute geht Christfried Schmidt unverdrossen seinen Weg, was allein Respekt abnötigt, und bis heute hat der Konflikt zwischen Neuer Musik und Publikum, den er an Leib und Werk spürt, sein Künstlertum nicht ernsthaft beschädigen können. Schmidt fing als Kirchenmusiker und komponierender Autodidakt an. Die ersten Arbeiten waren an die hundert Lieder mit Texten quer durch den Literaturgarten, darunter Hesses Musik des Einsamen. 1965 entstand das große Oratorium Mahnmal wider die Gewalt. Es folgten zwei Sinfonien: Hamlet-Sinfonie, Sinfonie In Memoriam Martin Luther King; beide sind noch ungespielt. Seine gleichfalls unaufgeführte Markus-Passion beendete der Komponist 1974. Zwischen 1965 und 1974 blieb Schmidt in der DDR ohne Aufführung und Auftrag. Stattdessen spielte man ihn fröhlich in Tokyo und verlieh ihm einen Kompositionspreis in Nürnberg. Der DDR- Rundfunk entkrampfte die Situation etwas, indem er 1973 sein Klavierkonzert produzierte. In der Kammermusik ermöglichte das Staatsopern- Bläserquintett Berlin 1974 den Einstieg mit der Uraufführung seines Bläserquintetts (1971). Nichts liegt näher, als seine bisher elf durchnummerierten, wechselnd besetzten Kammermusiken, erfunden im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts, neu - oder wieder zu entdecken. Das ganze Konvolut dieser Kammerstücke steht - wie die übrige Musik Christfried Schmidts - im Zeichen der Treue zum seriell variantenreich organisierbaren Material. Auf Mannigfaltigkeit in Harmonik und Rhythmik, auf expressiver Gestik und Gebärde, auf gewichtigen Termini der Polyphonie basiert der Gehalt dieser Musik. Der Künstler, angetreten, über die Möglichkeiten neuer Musik von sich und der Welt aufs Persönlichste Kunde zu geben, verbindet darin Strenge der Formulierung und technischen Anspruch mit spontanem Musizierwillen. In den Kreis vokal-instrumentaler Kammermusiken gehört der Psalm 21 (Text: Ernesto Cardenal). Das Stück erlebte seine Premiere 1971 in Nürnberg und gehört, wer immer das anders sehen mag, in die Reihe der eindringlichsten engagierten Werke im 20. Jahrhundert. Leider wissen die wenigsten von diesem klangharten, vital-expressiven Anti- Gewalt-Stück. Als dem Outsider nach der Wende - etwa bei der Uraufführung seines Violinkonzerts 1991 im Schauspielhaus Berlin - heftig akklamiert wurde, hatte bereits die Währung gewechselt. Die Marktwirtschaft, so überhastet wie schlecht installiert und ohnedies kunstfeindlich, desorganisierte nun auch den ostdeutschen Musikbetrieb, und die frisch eingepflockten neuen Eliten, meist zweite Garnitur, schienen im unbekannten Gelände niemand weiter zu kennen als sich selbst und ihre Favoriten aus dem Westen. Schmidt hat derlei Vorgänge anfänglich begrüßt. Doch bald dämmerte es, denn die neuen Eliten verhielten sich nicht viel anders als die alten. Schmidt wurde wie einst in den Sechzigern wieder geschnitten. Zählte der Mann nach der "Wende" kurzzeitig zu den maßgeblichen deutschen Komponistenpersönlichkeiten, war dieser Ruf rasch wieder verflogen. Die Orchestermusik III, Auftragswerk der Komischen Oper Berlin, liegt beispielsweise seit 1992 in der Schublade. Spätestens Mitte der neunziger Jahre erschien der Komponist wieder ganz auf sich gestellt und fiel, wie viele seinesgleichen, unter neuen Vorzeichen in die alte nonkonformistische Rolle zurück. - Das mag auch daran liegen, dass Künstler wie er, die alles Modische ablehnen und denen der ganze Oberflächenundeutlichkeitskrimskrams der Postmoderne ein Greuel ist, heute so wenig integrierbar sind wie gestern. Schmidt wäre nicht Schmidt, wenn er nicht schimpfen würde. Verhältnisse unmöglich zu machen, das ist eine seiner kreativen Tugenden. Das geht nicht immer gut aus, sicher. Aber aufregend ist es allemal, wenn er jenes Musikervolk attackiert, das seine Stücke leidenschaftslos und schlampig aufführt. Verhasst sind ihm insbesondere bequeme, generöse Konzerthörer, die, statt mit den Ohren zu begreifen, alle Musik verpennen; nicht minder die Ignoranten, welche an den Pulten stehen und in den Instanzen rumlungern; Personal, das nicht erkennen will, was an Gehalt und Brisanz in seinen Partituren steckt und sie deswegen achtlos beiseite schiebt. Wenn der Fluchende darüber erbost und traurig ist, dann sind die, die mit ihm fühlen, auch erbost und traurig. Glück? Als Komponist? Durchs Küchenfenster seiner Wohnung im Prenzlauer Berg sieht man auf der gegenüberliegenden Front einen Riesenfleck Weinblätter. Die hat er einst angepflanzt, sagt er stolz, und nun bedecken sie fast die ganze Hinterhofwand, worüber er sich natürlich sehr freue. Seine Orchestermusik I, Beginn einer Serie, die unterdes bei der Nummer V ist, markiert in anderer Art ein weit verzweigtes, wucherndes Gewächs. So war dieser Tage ein Hoffnungsschimmer, dass endlich Memento, 1. Teil, für Orchester im Gewandhaus Leipzig kam. Dirigent Fabio Luisi, er führte die Partitur mit dem MDR-Sinfonieorchester leidenschaftlich auf, hat erkannt, dass von Schmidt Bedeutendes vorliegt und allemal noch zu erwarten ist. (In: Stefan Amzoll, Freitag Nr. 48 vom 22.11.02)
Werner Wolf
Schmidts aufwühlendes “Memento, 1. Teil” und Schönbergs “Überlebender von Warschau” Uraufführungen von Orchesterwerken sind selten geworden. Auch beim MDR- Sinfonieorchester, das unter Fabio Luisi zum Entdeckermut Herbert Kegels zurück findet. Mehrere Anläufe führten jetzt zur höchst eindrucksstarken Uraufführung des Memento, 1. Teil von Christfried Schmidt, dem das Orchester in den siebziger und achtziger Jahren Anerkennung verschaffte. Das 1999 im Auftrag des MDR entstandene Werk klingt noch herber, härter, unerbittlicher als die 1983 vom Orchester unter Christian Kluttig uraufgeführte Munch-Musik und manch andere Komposition des am 26. November 70 werdenden Komponisten. Es reflektiert die Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Die für den ersten Teil gewählte Überschrift „Schicksal" weist auf die unweigerliche Verkettung des persönlichen Schicksals mit dem historischen Geschehen. Der zweite Teil „Der Menschen Irrsinn und Ruchlosigkeit" wird von der Gewalt der furchtbaren Ereignisse von 1914-1945 beherrscht und zerfurcht und im abschließenden dritten Teil „Unser wehes Land" kommt nach den Worten des Komponisten „das Desaster danach zur Sprache, an dessen Nachwirkungen wir auch im neuen Jahrtausend noch knabbern". Zwangsläufig führen solche Gedanken über weite Strecken zu einem kompakten Orchesterklang und Klangsteigerungen von berstender Gewalt. Doch dabei vermag der Komponist durchaus zu differenzieren und variieren, das Blickfeld zu verändern. Solistische Abschnitte schaffen Atempausen, führen zu zarten Wendungen, die inmitten infernalischer Vorgänge Sehnsucht nach Menschlichkeit, nach Zartheit, nach Liebe, nach Unbeschwertheit aufscheinen lassen. Es sind Wendungen, die Christfried Schmidt als ausgesprochen sensiblen Künstler zeigen, der an all den Furchtbarkeiten des 20. Jahrhunderts leidet und sie überwunden sehen möchte. Das 2. Konzert „Zauber der Musik" mit diesem Werk zu eröffnen, war ein Wagnis. Doch Fabio Luisi weckte besondere Aufmerksamkeit, indem er nicht nur einführende Worte sprach, sondern zunächst charakteristische Ausschnitte mit dem Orchester anspielte. Die Einsatzfreude des Dirigenten und Orchesters, die Eindringlichkeit des Musizierens erreichten eine nachhaltige Wirkung. Nach Franz Liszts sinfonischer- Dichtung „Tasso. Lamento und Triumpf" erklang noch Ferruccio Busonis selten zu hörendes, zuletzt 1986 unter Horst Neumann im „Zauber der Musik" aufgeführtes Klavierkonzert mit abschließenden Männerchor op. 39 mit Carlo Grante als großartigen Komponisten. Vieles klingt in diesem 70-Minütigem, 1904 uraufgeführten Werk durchaus vertraut. Und doch fand Busoni von der Tradition des 19. Jahrhunderts ausgehend zu einer eigenen Klangwelt, die ihn von seinen Zeitgenossen Mahler, Debussy, Strauss, Pfitzner Skrjabin, Reger unterscheidet. Von ihm bleibt noch Manches zu erschließen. Auch im 1. Chorkonzert der Spielzeit ließ Fabio Luisi Außergewöhnliches erklingen: Arnold Schönbergs Melodram Ein Überlebender von Warschau war zwischen Ludwig van Beethovens achter Sinfonie und Messe C-Dur mit Maximilian Schell als Sprecher und dem Rundfunk-Männerchor zu erleben. Im Verhältnis zur komplexen Sicht Christfried Schmidts auf das 20. Jahrhundert lässt dieses erschütternde Werk eines der furchtbarsten Ereignisse des Zweiten Weltkriegs auf der Grundlage eines authentischen Berichtes zwingend nacherleben. Die aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts erwachsene dissonante Tonsprache findet in diesem Werk ihre entschiedenste Begründung. Seltenes war auch in der Hochschule für Musik und Theater zu hören. Der 125. Geburtstag des Komponisten und Hochschullehrers Sigfrid Karg-Elert war Anlass zu Kursen und Konzerten der Karg-Elert-Gesellschaft im Großen Saal der Hochschule. Sie boten Ausschnitte aus einem vielgestaltigen Werk. Da findet sich Romantisches, auch der Salonmusik Zuneigendes neben Experimentallem, das bis an die Grenze der Tonalität führt, immer von urwüchsiger Musizierlaune durchpulst (In: Werner Wolf, Leipzigs Neue 01.11.2002)
Frank Sindermann
Memento von Christfried Schmidt "Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können". Dieser berühmte Ausspruch Jean Pauls trifft nur bedingt zu; denn je nach persönlicher Situation, abhängig vom individuell Erlebten, kann die Erinnerung auch zur Hölle werden, zum Ort traumatischer Bedrohung. In seinem Werk "Memento" für großes Orchester thematisiert Christfried Schmidt, verbunden mit dem Andenken an seine Mutter, die großen Leiden des vergangenen Jahrhunderts. Kompromisslos konfrontiert er den Hörer mit der Gewalt menschlichen Schmerzes. Nur hin und wieder blitzt Ironie auf, fast wie ein Schutzreflex. Das knapp halbstündige, dreiteilige Werk verstört durch heftig aufeinander prallende Kontraste im Bereich der Dynamik und der Satztechnik, aber auch der Instrumentation. Längere Phasen in eher flächigem Satz wechseln mit filigraner Linearität, massive Klangballungen mit eher durchsichtigen Solopassagen, Ausbrüche tiefsten Leids mit etwas zurückgenommenen Momenten. Doch nicht nur im zeitlichen Nacheinander, auch simultan werden Gräben aufgerissen, so zum Beispiel, wenn gegen Ende des Werks extrem hohe Töne der Violine der Tiefe der Kontrabässe entgegen gestellt werden. So vielfältig die Mittel sind, derer Schmidt sich bedient, so originell weiß er sie einzusetzen, sie in immer neue Kontexte einzubinden, wodurch sich ständig neue Ausdrucksdimensionen erschließen. Das MDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Fabio Luisi hebt die Auftragskomposition mit großem persönlichen Einsatz aller Beteiligter aus der Taufe und bereitet damit nicht nur dem Komponisten einen großen Gefallen. Luisi mit seinem ebenso konzentrierten wie emotionalen Zugriff, die durchweg überzeugenden Soli, die exzellente Schlagzeuggruppe - sie alle bieten dem Werk beste Voraussetzungen für eine unmittelbare, durchschlagende Wirkung im Sinne Christfried Schmidts. Viel wichtiger noch als diese rein musikalischen Elemente scheint mir das große persönliche Engagement des Komponisten, seine Ehrlichkeit und humanistische Grundhaltung, welche der Musik Bekenntnischarakter verleihen und den Eindruck erwecken, sie sei einem inneren Zwang abgerungen. Vergleichbar ist Christfried Schmidt hierin vielleicht dem schwedischen Sinfoniker Allan Pettersson, für den seine Musik wohl Krankheit und Therapie zugleich war. Ebenso wie Petterssons Werke verlangt "Memento" vom Hörer einiges an Aufmerksamkeit und Geduld. An einen Ausspruch des Künstlers Edvard Munch angelehnt, sagt Schmidt, es gehe ihm mit seiner Musik darum, den Menschen etwas zu geben, was sie herausfordere und errege. Beim Leipziger "Zauber der Musik"-Publikum hat er dieses Ziel leider nicht erreicht. Es ist dem Werk zu wünschen, dass es nicht bei dieser einen Aufführung bleibt; denn Christfried Schmidts Musik hat etwas zu sagen, das das Zuhören lohnt (In: Frank Sindermann, Leipzig-Almanach 27.10.2002)
Christoph Sramek
Überraschung, Begeisterung Christian Kluttig dirigierte Rundfunk- Sinfonieorchester Atemlose Stille des Publikums während der Aufführung, sekundenlanges Schweigen vor dem einsetzenden stürmischen  Beifall sowie das demonstrative Verharren der Orchestermitglieder auf ihren Stühlen beim Verbeugen des Dirigenten bezeichnen den großen Erfolg von Generalmusikdirektor  Christian Kluttig im 2. Anrechtskonzert, Reihe B, des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig.  Der Musikalische Oberleiter des Landestheaters  Halle und Chefdirigent des Händel- Festspielorchesters war erst im Verlaufe der Probenzeit vertretungsweise zu dem renommierten  Klangkörper gelangt und hatte dessen anspruchsvolle Programmplanung  einschränkungslos akzeptiert. Wie er jedoch die knapp halbstündige Uraufführung von Christfried Schmidts „Munch-Musik”, Cesar Francks „Sinfonische Variationen für Klavier   und Orchester" mit Annerose Schmidt als Solistin sowie die geniale 6. Sinfonie von Peter Tschaikowski gemeinsam mit den befeuerten Musikern des Rundfunks meisterte, löste Überraschung und Begeisterung aus. Ohne Partitur auf dem Podest stehend, entlockte er   dem Orchester mit zwingenden Gesten packende Kontrastwirkungen und erregende Kantilenen  in den  Ecksätzen  der Sinfonie,    führte er zu scheinbarer spielerischer Leichtigkeit in dem tänzerischen rhythmisch- metrischen Geflecht des zweiten sowie dem im Zusammenspiel schwierigen Anfang des dritten Satzes und steigerte die Ausdruckskraft  insgesamt von Satz zu Satz. Am Ende blieb der  Eindruck einer genau durchdachten, vital umgesetzten Konzeption, die hier an die Stelle von russischem Sentiment in großen Zügen  spannungsgeladene Gründlichkeit des Details setzte, ohne den Gesamtzusammenhang zu verlieren. Mit dem Untertitel „Orchesterstücke nach Graphiken von Edvard Munch" und den von da übernommenen Zwischen Überschriften wie „Zwei Menschen", „Eifersucht" oder „Der Kuß"   verweist  der in Leipzig ausgebildete  Wahl- Berliner Christfried Schmidt nicht nur auf Bild- Assoziationen aus dem Schaffen des norwegischen Künstlers, sondern auch auf Partnerbeziehungen schlechthin, so daß die Kenntnis der graphischen Vorlagen für das Verständnis der Musik nicht unabdingbar notwendig erscheint. An Hand dieser Überschriften und der ihnen im Programmheft zugeordneten musikalischen Sachverhalte   sind die sieben Stücke sowie die jeweils von Röhrenglocken markierten, verbindenden fünf „Ritornelle" unschwer zu verfolgen.  In dem Wechselspiel kontrastierender Teile, die zu einem zyklischen Ganzen gefügt sind, weiß der Hörer stets, wo er sich befindet, zumal die Musik durch bestimmte Klangfarbensymbole  und Intervall konstellationen, getrennt nach Weiblichem und Männlichem die jeweilige Grundsituation illustriert. Nicht unbegründet beziehen sich deshalb der Autor der Einführung  und der Komponist selbst vergleichend auf Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung",    obwohl die musikalische Sprache Schmidts von ganz anderen strukturellen Voraussetzungen ausgeht. Der für ein neues Werk beachtliche Applaus sollte Komponist und Hörer ermutigen, sich weiter auf einander zuzubewegen! Eine erfolgssichere Achse zwischen den beiden Eckpfeilern des Abends bildeten die etwas schwerblütigen Sinfonischen Variationen von Cesar Franck. Souverän und einfühlend widmete sich Annerose Schmidt den mit Schwierigkeiten gespickten, wahrscheinlich von der Orgel aus gedachten Passagen des Klaviers, während Christian Kluttig das Orchester schnörkellos und diszipliniert führte, so daß  seine Gesamtleistung ein baldiges Wiedersehen im Neuen Gewandhaus erhoffen läßt. (In: Christoph Sramek, ST, 26.10.1983)
Liesel Markowski
Virtuos gespielte Kammermusik Von den beiden Uraufführungen hinterließ ein Vokalwerk Christfried Schmidts (geb. 1932) die stärkere Wirkung: Mit seinem "Ein Märchen - kein Märchen" für 12 Vokalisten will er an Hand einer Parabel, dem Gedicht „Schwedisches Volksmärchen" von Harry Martinson, dem er weitere reflektierende Verse von Mörike, Hugo von Hofmannsthal, Jessenin, Célan, Lenau und Goethe zugeordnet hat, den Bemühungen der Menschen im Alltag nachspüren. Das geschieht sowohl im Sprachlichen wie im Musikalischen außerordentlich eindringlich, wenngleich der depressive Schluß keinen Ausweg aufzeigt, aber zum Nachdenken anregt. Christfried Schmidt fand für die musikalische Gestaltung des Ganzen ein Idiom von intensiver Expressivität. Die komplizierte Struktur seiner Komposition, bei der er sich einer großen Skala neuartiger vokaler Ausdrucksmittel bedient, ist ganz dem inhaltlichen Anliegen verpflichtet. Die Berliner Solisten, dirigiert von Dietrich Knothe, brachten das Stück mit ausgezeichnetem Können zur Geltung. ... (In: ND, gekürzt)
Sebastian Trunck
Anregungen und Berührungen Das Berliner „Ultraschallfestival untersucht Neue Musik aus Ostdeutschland Vor 60 Jahren entstanden die Bundesrepublik und die DDR, vor 20 Jahren fiel die Mauer. Grund genug, danach zu fragen, welche Rolle die Künste in West, Ost und im wiedervereinigten Deutschland spielten und spielen. Das „Ultraschallfestival beschäftigte sich mit Neuer Musik aus Ostdeutschland, mit Kompositionen aus der Zeit vor und nach der Wende. Es gibt sie, und fast staunt man darüber: die Momente des Berührt-Seins auch in der Neuen Musik. Als im Eröffhungskonzert des Berliner „Ultraschallfestivals Christfried Schmidts 1981 komponierte „Munch-Musik” verklungen war, gab es Stille und Augenglanz, die bei gegenwärtiger Musik die rare Ausnahme sind. Sogar Dirigent Peter Rundel und das Berliner Rundfunksinfonieorchester schienen milde ergriffen. Spätestromantische Innenschau als Fluchtreaktion angesichts der höchst unpoetischen DDR-Welt? Nachlaufender Schmerzens-Expressionismus, vielleicht als Pendant zu einem „West"-Komponisten wie Bernd Alois Zimmermann, den gerade die Berliner Philharmoniker (wieder-) entdecken? Man kann solche Musik, die nach 30 Jahren noch „unzugehöriger" erscheint als bei ihrer ersten Aufführung, leicht kleinreden - aber sie ist und bleibt das, was sich viele Jüngere nicht mehr getrauen (wollen): Sprache von Gefühlen, die sich und uns bloßstellt und herausfordert Schmidt, Jahrgang 1932, war schon im Osten ein Außenseiter. Andere wie Georg Katzer, Friedrich Goldmann, Paul-Heinz Dittrich, Friedrich Schenker oder Reiner Bredemeyer - damals innerhalb der DDR-Grenzen an- und aufregend und auch im Ausland im Gespräch - sind mehr oder weniger Außenseiter geworden, was allerlei sarkastische Gedanken über die Wechselwirkungen von Kunst, Markt und Politik nahelegt Dass Musik bei ihnen allen direkte Kommunikation meint, ist sicherlich ein Punkt, der ihre so ganz verschiedenen Kompositions- Temperamente einander annähert, aber seit den Wendejahren vielleicht eher für Misstrauen und Aufführungsabstinenz sorgt. Eine ganze Reihe der knapp 30 Konzerte im gemeinsam von Deutschlandradio Kultur und RBB ausgerichteten „Ultraschallfestival gab Gelegenheit zum Nachdenken, ob solche Stimmen nicht genau das sind, was der latenten Blutleere mancher aktuellen Neu- Musikübung zu mehr Vitalität verhelfen könnte. Jedenfalls fühlte sich ein gänzlich Ostalgie unverdächtiges Publikum von den Beiträgen angesprochen. Dabei war gleich, ob es sich um Vorwende-Produktionen (wie Schmidts Stück) oder um die gemeinschaftlichen Memorialkompositionen Schenkers, Bredemeyers und Goldmanns für Paul Dessau handelte. Oder auch um solche aus den Jahren danach wie bei Schenkers Posaunenstück „Kommunizierende Röhren II" oder Steffen Schleiermachers „Sisyphos" für Blechbläser und Schlagzeug. Die beiden Letztgenannten erklangen ebenfalls im Eröffhungskonzert, und es war ihnen gegenüber dann fast symbolisch, dass das jüngste Stück, Carsten Hennings 2005 komponierte „Massen", - trotz des Titels - Zersplitterung, Vereinzelung und Auskühlung thematisierte. Aber zu mindest wurde hier unmittelbare Emotionalität freigesetzt Wie man den Weg ins Kollektiv-Einsame an Grenzen treiben kann, zeigte Jakob Ulimanns zehn Jahre alte „komposition für streichquartett 2": ein Werk des Verstummens und der Stille - beeindruckend in seiner rigorosen Konsequenz. (In: Sebastian Trunck, Die Rheinpfalz, 4.2.2009)
M. v. H.
Moderne Psalmvertonung Bei den DDR-Musiktagen in Berlin erstaufgeführt: (Berliner Solisten unter Dietrich Knothe 1982) Bei den diesjährigen DDR-Musiktagen wurde am 20. Februar im Apollo-Saal der Berliner Staatsoper Christfried Schmidts „Psalm 21" auf geführt, der nach einer poetischen Vorlage des lateinamerikanischen Priesters und Dichters Ernesto Cardenal entstand. Unmittelbar vor den Musiktagen fand eine Konferenz des Komponistenverbandes statt, deren Thema „Unsere neue Musik im Leben unseres Volkes" lautete. Zu den Delegierten gehörte der Eisenberger Kirchenmusiker Helmut Zapf, der uns freundlicherweise Informationsmaterial   über die Erstaufführung zur Verfügung stellte. Radio DDR II sendete das Werk und führte mit Schmidt ein Interview. In Weimar bot sich im Anschluß an die Musiktage Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Komponisten, der das Werk vor 12 Jahren schuf. Christfried Schmidt,   der 1932 in Markersdorf (Oberlausitz)    geboren wurde und in Görlitz und Leipzig Kirchenmusik studierte, lebt seit 1963 als freischaffender Komponist in Quedlinburg und Berlin. 1971 trat er ins „internationale Rampenlicht", als sein  „Psalm  21"  anläßlich  des Dürer-Jahres bei der Internationalen Orgelwoche in Nürnberg preisgekrönt und uraufgeführt wurde. Da nach folgten   Funkproduktionen in der BRD, in Belgien, Italien, Israel, Jugoslawien, Spanien, der Schweiz und den USA.                             „Ich suchte 1970", berichtet der Komponist, „nach dem Text für ein Chorwerk. Da fiel mir zufällig die Psalm-Adaption von Ernesto Cardenal in die Hand, die ich dem Band “Zerschneide den Stacheldraht” entnahm. Hierbei geht es um Dinge, die leider Gottes in unserer Welt noch viel zu oft passieren: um Unterdrückung und Brutalität. Cardenals Text geht auf den 22. Psalm zurück:  „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?"  Dieser Satz klingt in Schmidts Komposition für 2 Soli, gemischten Chor, Orgel und   Instrumentalensemble immer wieder an. Er erläutert: „Im 1. Teil schildert der Psalmist bzw. der gepeinigte und geplagte Mensch, der sich gegen die Gewalt wendet, daß er von seiner Umwelt verhöhnt und verspottet wird. Im 2. Teil werden die Mechanismen aufgezeigt, mit denen sich heute vor allem Terror-Regimes an der Macht halten, angefangen von Panzerwagen über Folterkammern bis zur radioaktiven Verseuchung. Im 3. Teil klingt Hoffnung auf,  daß diese Dinge in Zukunft nicht mehr geschehen und die Armen dann ein Fest feiern werden, vereint in Gerechtigkeit und Freiheit" Christfried Schmidt ist eine Vertonung von vibrierender Eindringlichkeit gelungen, die, so betonte das „Neue Deutschland", „aktuelle Mittel vielseitig und phantasievoll nutzt". Die Überschrift des Konzertes lautete „Wortmeldung". Das Publikum hörte den Ruf des Psalmisten und zeigte sich tief beeindruckt.
Eckart Schwinger
Was die Menschen bewegt und berührt Das aufrüttelndste Erlebnis des Eröffnungskonzertes war für mich allerdings das aus der Taufe gehobene Oboenkonzert von Christfried Schmidt. Da artikuliert ein Eigenwillirger seine Musik bei aller inhaltlich- formalen Geschlossenheit mit einem seelischen Aufruhr, einer starken Erregung und Stoßkraft   und ganz unalltäglicher, aufwühlender   Klangaufspaltung, die sobald nicht wieder loslassen. Ein komponiertes Psychogramm, eine Art Anti-Konzert aus scharf geschnittenem,   hartem Holz, in dem das massige, mächtige Orchester mit seinen schrillen Klang attacken und das einsam dastehende, ruhelos fragende, sich vor wagende, aufbäumende Holzblasinstrument aufeinanderprallen. Da  sind unheimlich leise, raunende Laute der Oboe zu vernehmen, deren schmerzhaft verfremdete Kantabilität, die zermalmende Wucht des Orchesters, dessen elementare, wilde   Expressivität bis an die äußerste Grenze geht und tief beunruhigt. (In: Eckart Schwingern, Neue Zeit, 27.2.1984, gekürzt)
Jan Brachmann
Dann sing doch nach drüben In der DDR musizierte man auch nicht hinterm atonalen Mond: Nachklänge beim Berliner Festival “Ultraschall” Eines der stärksten Werke aus den achtziger Jahren war im Radialsystem (einer wilhelminischen Industriehalle am Ostbahnhof) beim Eröffnungskonzert mit dem Rundfunk- Sinfonieorchester Berlin unter Peter Rundel zu hören: die „Munch-Musik" von Christfried Schmidt. Nach acht Grafiken von Edvard Munch hat Schmidt hier 1981 einen halbstündigen Reigen von groß besetzten Orchesterstücken geschaffen, die auf eine einzige Zwölfionreihe rückführbar sind. Doch Schmidt öffnet die verwaltete Welt einer abgezirkelten Zwölftontechnik wieder für die mitreißend flutende Sinnlichkeit jener freien Atonalität, wie es sie vor dem Ersten Weltkrieg gegeben hatte. Schon die ersten Linien von Bassklarinette und Solocello evozieren Intimität und Einsamkeit. Von der Last des Begehrens und dem Schmerz erotischer Verletzungen zu erzählen, schämt sich die Musik an keiner Stelle und ist darin den gegenwärtigen Werken des global erfolgreichen  Harrison Birtwistle mindestens ebenbürtig an die Seite zu stellen. Für Schmidt allerdings, der heute sechsundsiebzigjährig in Berlin, Prenzlauer Berg lebt und schreibt, war dies erst die zweite Aufführung eines Orchesterwerks in den letzten zwanzig Jahren. Er hat das hingebungsvolle, klangschöne Spiel der Rundfunksinfoniker und den eindrucksvollen Jubel des Publikums sichtlich bewegt auf genommen. (In: Jan Brachmann, FAZ, 26.01.2009)  
Jan Brachmann
EXILANTEN DES BETRIEBS Viele Komponisten aus der DDR werden 25 Jahre nach dem Fall der Mauer kaum mehr aufgeführt. Stehen sie doch einmal auf dem Spielplan, führt man sie gern wie wunderliche Exponate im «ästhetischen Zoo» vor. Ein überfälliger Zwischenruf Im November 1989 feierte Christfried Schmidt. Nein, nicht weil die Mauer fiel. Obwohl er nichts dagegen hatte; er begrüßte die sogenannte Wende durchaus. Kaum ein Komponist nämlich dürfte den schikanösen Doppelsinn des Vermerks «Wohnhaft in der DDR» schmerzhafter erfahren haben als er. Jahrelang wurde seine Musik daheim nicht gespielt; seine Aufnahme in den Komponistenverband zog sich zäh hin. Die ersten Uraufführungen hatte er 1970 in Tokio und 1971 in Nürnberg, ohne dass er dabeisein durfte. Aber von seinen Kollegen, die längst in den Westen gereist waren, von Friedrich Goldmann oder Paui-Heinz Dittrich, er fuhr er auch, warum sie immer wieder zurückkamen in ihr enges, muffiges Land: "Die haben gemerkt, wie hart das ist im Westen Aufführungen zu bekommen, wie man da Klinken putzen muss bei Intendanten, Rundfunkredakteuren und Orchesterdirektoren. In der DDR war das einfacher; da wurden sie gespielt" Im November 1989 feierte Christfried Schmidt in Berlin-Prenzlauer Berg, weil endlich seine Oper fertig war: "Das Herz", nach einer Novelle von Heinrich Mann. Drei Jahre hatte er daran gearbeitet. Mitte der 80er-Jahre war er auf den zwölfseitigen Prosatext gestoßen, den Heinrich Mann 1910 innerhalb von acht Tagen in Florenz geschrieben hatte. Die kurze Geschichte einer intensiven Liebe zwischen Mann und Frau, die an Intrigen und seelischer Entfremdung zerbricht. Keine Staatsaktion, sondern eine intime Tragödie als große Oper. Schon mit seiner "Munch-Musik" für Orchester nach acht Grafiken von Edvard Munch hatte Schmidt 1981 bewiesen, dass er das Verhängnis des Begehrens packend gestalten konnte. Nun, für «Das Herz», hatte Bernd Schremmer ihm, versiert und knapp, das Libretto geschrieben. Schmidt fragte bei der Komischen Oper Berlin, bei der Staatsoper Unter den Linden, in Leipzig und in Dresden - überall wurde abgewinkt. Man wollte das Stück nicht. ... Während in der Literaturkritik die Bezeichnung "DDR-Schriftsteller" in den letzten Jahren aus der Mode gekommen ist und man Christa Wolf, Stefan Heym oder Christoph Hein genau so "deutsch" nennt wie Günter Grass, Heinrich Böll oder Martin Walser, so bleibt im Bereich der Musik die DDR noch immer eingemauert. Die Komponisten sind Exilanten des Betriebs. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall setzte Ultraschall, das Berliner Festival für neue Musik, seinen Schwerpunkt bei den Komponisten der ehemaligen DDR. Endlich konnte man auch Schmidts "Munch-Musik" wieder hören, die überregionales Erstaunen auslöste. Das war einerseits schön, andererseits auf schlimme Weise bezeichnend: Ein Festival mit dem Schwerpunkt "BRD- Komponisten" würde niemand veranstalten. Obwohl hier 2009 Gutes gewollt wurde, hat man einmal mehr die DDR als "ästhetischen Zoo" präsentiert, wie es Siegfried Gohr boshaft bei der Kunstaussteilung "60 Jahre, 60 Werke" formulierte. Seit die 1967 in Ostberlin gegründete Musik-Biennale im Jahr 2002 durch die Maerzmusik ersetzt wurde, haben Komponisten aus der DDR kein verlässliches Podium für ihre Werke mehr. Man kann deutlich beobachten, dass sicht- und hörbar nur blieb, wer über institutionelle Bindungen verfügte, am besten in Form einer Dozentur an einer Hochschule. Christfried Schmidt hatte 1986 die Zusage des Deutschen Nationaltheaters in Weimar erhalten, die Uraufführung seiner Oper einzuplanen. Nach Vorlage der fertigen Partitur erhielt er am 1. März 1990 die definitive Absage: Das Werk sei so fordernd, dass es probenökonomisch den Betrieb sprengen würde. Als Agent in eigener Sache bot er "Das Herz" 15 Opernhäusern zur Uraufführung an: Mannheim, Karlsruhe, Düsseldorf, Hannover, München, Essen, auch Klaus Zehelein in Stuttgart. Meistens erhielt er nicht einmal eine Antwort. Seine "Kammermusik XI", als Auftragswerk der Berliner Festspiele 1995 für das Ensemble Modern entstanden und diesem gewidmet, liegt seit 19 Jahren ungespielt in der Schublade. Wie Paul-Heinz Dittrich bekommt auch Schmidt immer wieder zu hören, seine Musik sei zu schwierig. Beider Werke stellen dem Betrieb weitaus größere Widerstände entgegen als die mittlerweile vollintegrierten «Störfälle» eines Helmut Lachenmann. Kürzlich übergab Schmidt, der im November 82 Jahre alt wird, das Libretto von "Das Herz" an Achim Freyer. Der nämlich interessiert sich dafür. (In: Jan Brachmann, Opernwelt Nr. 11, November 2014, gekürzt)
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